Freitag, 3. Mai 2013

Kapitel 2- Teil 16

Ich schaffte das alles nicht mehr. Wie sollte ich atmen wenn ich die Atemzüge zählte die ich noch mit ihm gemeinsam hatte? Wie sollte ich schlafen wenn ich daran dachte wie viel Zeit mir der Schlaf stehlen würde?
Ich aß nichts mehr. Ich wollte ein Nichts werden. Alles auf 0 bekommen. Mein Leben = 0. Das war mein Ziel. Ich war von Bauchschmerzen geplagt, dachte oft an Essen, war aber stark genug um diesem Verlangen auszuweichen. Ich wurde zu einem Geist, gefangen im Körper eines Mädchens, ein Wintermädchen, zwischen den Welten. Nur er hatte die Gabe mich aufzutauen. Der den ich so bald verlieren würde.
Ein letztes Mal hatte ich meine Höhle aufgesucht. Meine Höhle mit meinem Tagebuch. Ich würde es hier lassen, im sicheren Versteck in dem Boot. Ich saß dort, die Klinge in der Hand und Tränen liefen mir übers Gesicht. Es war alles so aussichtslos. Ich fühlte mich als hätte ich ein Dèjá Vu, war nicht erst gestern gewesen als ich hier gesessen bin, mit derselben Klinge in der Hand?
Ich setzte sie auf und verletzte meine Haut, durchzog meine Hautschichten und betrachtete das Blut gebannt. Dieses scharfe Gefühl in meinem Arm fühlte sich so gut an. Ich verließ mein Handgelenk und wandte mich meiner Hüfte zu. Ich wollte sie wegbekommen, all die Fettschichten die dort waren. Ich ritzte ein X hinein, ein tiefes, rotes X. Kurz wurde mir schwindelig. Ich hatte tief geschnitten, sehr tief, aber nicht tief genug.
Nur ein winziges etwas Leben in mir hielt mich davon ab den letzten Schritt zu tun. Ich konnte ihn noch nicht wagen. Ich konnte einfach noch nicht. Stattdessen rollte ich mich zusammen und schloss die Augen.

Samstag, 27. April 2013

Kapitel 2- Teil 15

Die Zeit bis zu dem Schulwechsel- dem Lebenswechsel kam mir viel zu kurz vor, sie strich viel zu schnell an mir vorbei, ich wollte so viel tun, so viel erleben, am Liebsten jeden meiner Tage mit Jason verbringen.
Doch in meinem Kopf sponnen sich auch andere Gedanken. Ich hatte angefangen mir Geschichten auszudenken, in meinem Kopf, die mich davon abhielten dasselbe mit mir zu tun.


Das Gefühl packt sie immer ganz plötzlich. Von einem Moment auf den anderen. Ein ganz kleines Problem kann all das auslösen. Eine 4 in Mathe, Streit mit den Geschwistern oder einfach nur dass sie stolpert. Sie war nichts wert, dachte sie sich. Wofür überhaupt noch leben?
Nun stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich. Sie war schlank, sehr schlank, aber nicht schlank genug. Sie zog ihr T-Shirt hoch, wollte ihre Rippen sehen ohne Einzuatmen. Leicht zeichneten sich die Abdrücke ab. Weniger als vor drei Tagen. Sie hielt die Luft krampfhaft an. Abnehmen, weniger essen, dünn sein. Sie wollte sich einfach auflösen, in einen Schwarm voller Vögel der ihre verschiedenen Teile verstreute, ihnen die Freheit schenkte. 
Ihr Arm war nicht vernarbt, aber ganz leicht zeichneten sich die Spuren der Verzweiflung ab. Und wieder langte sie zum Messer. Sie wusste selbst nicht warum sie das tat. Es gab keinen Grund. Es fühlte sich einfach gut an, der Schmerz. Schmerz bedeutete Leben. Leben bedeutete nicht tot sein. Und das war im Moment mehr als sie erwartet hatte. Das Messer war ein Taschenmesser, das ihr Vater ihr geschenkt hatte. Es war rot- ein Schweitzer Taschenmesser. Es hatte schon öfters Blut geleckt. Sie legte es auf die Innenseite ihres Armes und drückte zu. Noch war kein Schmerz zu spüren, nur der Druck. Dann zog sie es langsam über ihren Arm. Der Schmerz tat so gut, erfüllte sie und brachte das Gefühl von Vertrautem wieder hoch. Erst zeichnete sich nur eine dünne, rosa Linie ab bis schließlich ein winziger Bluttropfen hervorqoll. Sie betrachtete ihn glücklich. Sie würde ihn nicht wegwischen, sondern warten bis er vollständig dort war. Bis er glänzte und sie sich in ihm verlieren konnte.

Ich zwang mich diese Geschichte zu beenden. Sie konnte kein gutes Ende nehmen. Ich saß in meinem Versteck, hörte die Wellen laut und wütend an die Felsen knallen, als würden sie ihr Leid in die Welt herausschreien. Ich fühlte mich ihnen verbunden. Ich brüllte nichts hinaus, sondern fraß alles in mich hinein aber hier konnte mich niemand hören, und ich öffnete den Mund. Erst stieß ich ein wenig Luft aus, dann ließ ich einen Ton heranwachsen und schließlich schrie ich mit den Wellen. Und niemand hörte mein Schreien.


Freitag, 26. April 2013

Kapitel 2- Teil 14

Ich saß in meinem Zimmer und starrte die Wand an. Ich zählte die Monate die mir noch mit Jason blieben. Es waren zwei Monate und fünf Tage. Ich konnte nicht so leben. In der Angst ihn nie wieder zu sehen. Ich konnte mich nicht dazu durchringen zum Handy zu greifen. Es war nichts dass ich ihm einfach so erzählen konnte. Ein Jahr getrennt von ihm. Ich hatte ihn doch grade erst gefunden. Ich wischte mir eine Träne mit dem Handrücken ab. Ich würde nicht nur ihn verlassen müssen, sondern auch meinen Rückzugsort am Strand. Es war hoffnungslos.
Irgendwie schaffte ich es mich aufzuraffen und spätabends zu Jason zu fahren. An seiner Haustür traute ich mich nicht anzuklopfen, obwohl ich schon so oft hier gewesen war. Schließlich klingte ich kurz. Er kam und sah mich verblüfft an. "Nora was machst du denn hier? Komm doch rein!" Er war immer so lieb. Ich konnte ihm das nicht sagen. Aber ich ließ mich hineinführen, und setzte mich auf sein Bett. "Meine Mom schickt mich auf ein Internat! Ich soll das Schuljahr wiederholen!" Wieder rollte eine Träne über meine Wange. Ich musste mich zusammenreißen um nicht zu schluchzen. Jason sah geschockt aus. Es tat weh ihn so zu sehen, fast noch mehr als die Vorstellung ein Jahr getrennt von ihm zu verbringen. Er nahm mich in den Arm und wir saßen einfach da, ließen die Tränen fließen. Schließlich sagte er diesen einen Satz: "Was auch geschieht, nichts kann uns trennen!"

Ich wollte ihn nicht verlassen, am liebsten würde ich ewig in seinem Arm sitzen bleiben, aber er bestand darauf mich nach Hause zu fahren und so saß ich an derselben Stelle in meinem Zimmer wie vorhin. Ich sah das Messer an, das auf dem Schreibtisch lag, und überlegte. Ich stellte mir vor wie schön der Schmerz wäre, wie willkommen ich ihn heißen würde. Dann trat mir aber Jasons Gesicht vor die Augen, und ich hielt an ihm fest. Nein, ich würde mich nicht ritzen. Ich hatte Jason, und nichts konnte uns trennen.

Sonntag, 14. April 2013

Kapitel 2- Teil 13


Für diesen Nachmittag war meine Mutter zum Direktor bestellt worden. Ich war versetzungsgefährdet. Seltsamerweise zog das total an mir vorbei. Es war mir einfach gleichgültig. Ich wollte all das nicht, diese Sorge ich könnte nicht bestehen ich wollte nicht dass mein Glück so an mir vorbeizog. Also mauerte ich mich ab gegenüber all diesem Stress, diesem Druck und war einfach glücklich. Ich hatte dieses Jahr kein einziges Mal gelernt, ich fühlte mich  nicht stark genug den Kampf gegen die Noten aufzunehmen. Ich war nicht stark genug jedes Mal wenn ich eine Klassenarbeit vorlegte den enttäuschten Blick meiner Mutter zu sehen. Sie wollte dass ich so werde wie sie. Eine Firmenchefin die den ganzen Tag nicht zu Hause ist. Vielleicht ist sie schuld dass ich so bin, so instabil. Sie hatte nie Zeit für mich. Soraya war Mutter, Schwester und beste Freundin in einem. Und ausgerechnet zu ihr ist mein Draht zerbrochen. Wegen ihm.
In einer Viertelstunde würde meiner Mutter in der Schule eintreffen. Ich wartete auf ihre Rückkehr.

Ihr Mund war zu einem dünnen Strich verzerrt. „Was ist nur in dich gefahren?“, fragte sie mich. Ich zuckte die Schultern und fixierte einen Blick auf der Wand. Es musste so kommen. Sie würde mich zur Rede stellen und bringen würde es gar nichts. „Du wirst dieses Schuljahr nicht schaffen! Weißt du was das heißt? Du wirst die Klasse wiederholen. Und du wirst lernen hörst du mich?“ Sie brüllte am Ende. Ich zuckte die Schultern. Meine Maske war perfekt. Ich brüllte nie, ich behielt meine Maske auf. Sie war seit langem nicht mehr meine Mutter. „Ich möchte nicht wiederholen.“, erwiderte ich.  Ihr Blick wurde hart. „Das hättest du dir früher überlegen sollen!“ Ich zuckte nochmal die Schultern und verließ das Zimmer. Sie konnte mich nicht zum Lernen zwingen. Ich hatte immerhin einen Realschulabschluss. Aber sie wollte dass ich studierte.
„Nora!“, sie brüllte immer noch, klang wutverzerrt und entschlossen. „Was?“, fragte ich leise zurück. „Du wirst aufs Internat gehen“ Wie im Traum zogen die Worte an mir vorbei. Ich sollte aufs Internat, weg von Jason, weg von dem Meer und meiner Höhle. Weg von mir selbst. „Nein!“, ich sagte es erst leise, dann nochmal: „Nein!“ Sie konnte mich nicht auf ein Internat schicken, sie konnte mich nicht einfach abschieben.

Freitag, 12. April 2013

Kapitel 2- Teil 12.


Ich schaufelte mir ein weiteres Stück Pizza in den Mund, obwohl ich eigentlich keinen Hunger hatte. Ich zwang mich Jason trotzdem anzulächeln. „Ich habe gar keinen Hunger mehr!“ Jason sah mich besorgt an. „Stimmt etwas mit der Pizza nicht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein ich habe nur etwas Bauchweh!“ Jason nahm meine Hand und sah mir in die Augen. Wir hatten gemeinsam gekocht, und das war ein ganz besonderes Erlebnis gewesen. Welcher Junge in der realen Welt kochte seiner Freundin etwas? Ich schaute ihm ebenfalls in die Augen. „Du bist die Eine. Die welche ich liebe.“ Mein Herz wurde warm bei seinen Worten. „Und ich liebe dich!“ Dann küsste ich ihn. Mein Leben kam mir vor wie ein Film. Ein Junge, den du einen Monat kennst macht dir einen Heiratsantrag. Du weißt dass er die Liebe deines Lebens ist, und dass du nicht mehr ohne ihn sein kannst. Er ist lieb, romantisch und verständnisvoll und scheint keine schlechten Seiten zu haben. Wir hatten das Essen gestoppt und küssten uns stattdessen. In solchen Momenten schien alles von mir abzufallen. Alles Schlechte, alles was mich bedrückte. Es gab nur noch ihn und mich. Er löste sich von mir. „Du solltest meine Eltern kennenlernen!“ Mein Herz begann schneller zu klopfen. „Aber… Sie werden mich nicht mögen." Jason schüttelte den Kopf. „Unsinn. Sie werden dich lieben, ebenso wie ich.“ Er küsste mich wieder. Ich wollte seine Eltern nicht kennenlernen. Ich war nicht der Mensch der sich mit Erwachsenen gut unterhalten konnte. Mein Magen drehte sich schon bei dem Gedanken um. „Deine Mutter wohnt doch in Berlin“, fiel mir ein. Jason nickte. „Aber sie wird nächste Woche kommen um eine Freundin zu besuchen die Geburtstag hat!“ Jetzt wurde mir wirklich schlecht. Nächste Woche sollte ich sie kennenlernen. Dann straffte ich meine Schultern. Ich hatte keine Angst. Entweder mochten sie mich oder nicht. Ich half Jason ab zu waschen, und wir setzten uns auf die Coach. Ich schmiegte mich in Jasons Arm und war einfach glücklich.

„Tschüss Prinzessin!“, Jason warf mir eine Kusshand zu. Ich lächelte und tat so als würde ich seinen Kuss auffangen. Dann schloss ich die Haustür hinter mir. Meine Mam war da, ich lief aber ohne ein Wort an ihr vorbei, Sie kümmerte sich auch nie um mich. Mein Blick fiel auf meine Schultasche. Ich hatte die Hausaufgaben sowieso nicht mitbekommen, wofür also die Sachen herauskramen? Ich ließ alles wo es war und verkroch mich in meinem Zimmer. Die Schule deprimierte mich unnötig. Ich wusste, dass ich, wenn ich nicht lernte durchfallen würde aber ich hatte keine Lust mehr. Ich wollte nicht mehr lernen, mich abrackern wenn ich meine Zukunft bis ins kleinste Detail geplant hatte. Ich konnte mich nicht mehr auf eine Aufgabe konzentrieren, meine Gedanken schweiften ab. Ich schüttelte den Kopf. Die Schule ging mir am Arsch vorbei. Ich ließ meinen Laptop hochfahren. Eigentlich war ich nie am Computer aber es war eine gute Beschäftigung gegen Gedanken. 

Donnerstag, 28. März 2013

Kapitel 2- Teil 11


Nichts konnte mir mehr etwas ausmachen. Ich war vereint mit Jason, für immer. Ich starrte den Ring dutzende Male an, fuhr mit dem Finger über ihn, merkte mir die Wölbungen bis ins kleinste Detail. Soraya hatte ihn entdeckt, mich neugierig angestarrt aber nicht nachgefragt. Und heute musste ich in die Schule. Jason hatte mir versprochen mich abzuholen und anschließend mit zu sich zu nehmen, um die Verlobung zu feiern. Mein Verlobter. Das klang seltsam, aber richtig. Ich war verlobt. Ich konnte das kaum glauben. Ich würde heiraten. Wann? Ich musste ihn heute fragen. Wahrscheinlich würde er erst ein Haus bauen wollen, einen Job annehmen… Ich würde das am Besten ihm überlassen.
„Kommst du?“ Soraya stand am Fuß der Treppe. Ich nickte, schnappte mir meine Schultasche und lief die Treppe herunter. Es war mein vorletztes Jahr in der Schule, nächstes Jahr würde ich mein Abitur machen und dann war ich frei. Ich war mit 16 verlobt. Das war komisch. Ich konnte meine Gedanken nicht von Jason losbekommen. Soraya redete mit mir über belanglose Dinge wie das Wetter oder was sie heute machen würde, während sie den Wagen in Richtung Schule lenkte. Soraya machte derzeit ihr Abitur, und hatte eine Lehrstelle bei einer Versicherung angenommen. Sie war abgesichert, falls etwas passieren sollte. Ich schüttelte den Kopf. Was sollte passieren? Alles war perfekt. Fast alles. In meinem Leben konnte nicht alles perfekt sein. Da war Soraya, meine bisher einzige Freundin. Unsere Beziehung war zerstört. Dann war da die Schule. Ich stand kurz vor dem Durchfallen. Das war ein Problem. Und dann war da noch meine Fähigkeit in allem das Schlechteste zu sehen. Alles problematisch und schrecklich zu gestalten.
Soraya hielt den Wagen an und ich stieg aus. Der vertraute Schulhof ließ in mir einen Würgereiz hochkommen. Verächtliche Blicke streiften mich. Sorayas Schatten. Niemand wollte ohne Soraya etwas mit mir zu tun haben. Und bestimmt hatte sich die Neuigkeit, dass ich einen gut aussehenden Freund hatte schon durchgesprochen. Wie ich wohl nur so einen bekommen hatte? So einen Hübschen. Ich lief durch die Flure ohne irgendetwas wahrzunehmen, und bog schließlich in den Gang zu meinem Klassenzimmer ein. Ich setzte mich auf einen freien Platz am Fenster. Die Zeit bis der Unterricht losging schien sich ewig zu ziehen. Alle saßen in Gruppen zusammen, nur ich war alleine.
Schließlich begann der Unterricht, zog an mir vorbei, und war endlich vorbei. Ich hatte kein Wort verstanden. Ich hatte aus dem Fenster geschaut und die Vögel beobachtet, die Grundschulkinder (ich stellte mir vor eines wäre mein Kind) und hatte schließlich angefangen ein Bild zu zeichnen. Mit dem Klingeln war ich aufgesprungen.

Kapitel 2- Teil 10


Sie betrachtete mich wieder als ihre beste Freundin, ihre Schwester, ihren Schatten. Ich betrachtete mich als Ersatzteil, Platzhalter und nur gut genug um Soraya zu trösten wenn sie traurig war. Sie saß neben mir, textete mich zu, merkte nicht dass es schwer war die Tränen zurückzuhalten. Sie übersah es, wollte es nicht wahrnehmen, es interessierte sie nicht. Sie war kein Deut besser als alle anderen.
Ich sah auf. Jason stand vor mir. „Hübsch siehst du aus!“ Er begrüßte mich mit einem Kuss, der mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. „Danke!“, sagte ich. Jason nickte Soraya zu und lächelte, während er meine Hand nahm. Er mochte Soraya, hatte aber nicht viel mit ihr zu tun. Ich winkte Soraya ebenfalls scheu zu. „Tschüss Soraya.“ Ich hatte schon vor langem für immer Tschüss gesagt. Jason war gut drauf, er hatte sich herausgeputzt für unseren gemeinsamen Stadtbummel und anschließendes Kino. Wir verabredeten uns jeden Tag, trafen uns, redeten, gingen spazieren oder sonstige netten Dinge. Er war ein fester Bestandteil meines Lebens. Morgen würde die Schule wieder losgehen, ich werde erneut in ein Tief fallen, wenn ich auch nur einen Tag ohne ihn verbringen muss. „Woran denkst du?“ Er merkte es immer wenn ich abgelenkt war. „Nur dass die Schule morgen wieder losgeht.“ Jason nickte. „Und ich sollte mir eine Stelle suchen. Ich muss lernen Geld für uns zu verdienen.“ Er hatte bewusst ‚uns‘ gesagt. Er betrachtete mich und ihn als eine Familie. Mein Herz machte einen Satz. Jason führte mich seltsamerweise nicht wie versprochen in die Stadt, sondern Richtung Strand. Ich fühlte mein Herz immer höher schlagen. Was hatte er vor? Jason schien auch aufgeregt zu sein, seine Schritte wurden kräftiger um die Unsicherheit zu überspielen. Seine Hand in meiner wurde feucht. Ich hörte mich schneller atmen. Warum? Was hatte er vor, was sollte das?
Er hielt schließlich an einer einsamen Stelle am Strand an. Das leise Rauschen der Wellen, das Zwitschern der Vögel und unsere Atemgeräusche bauten eine perfekte Kulisse auf. Jason fiel vor mir auf die Knie. Ich konnte kaum mehr aufhören zu atmen, mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Er wollte doch nicht… Er nahm vorsichtig meine Hand und sah mir in die Augen. „Nora. Ich kann solche Dinge nicht besonders gut, und bestimmt mache ich mich gerade lächerlich. Aber ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Du bist mein Herz. Möchtest du mich heiraten?“ Mein Herz drohte zu zerspringen, alle Gefühle, alles stieg mir den Hals hoch, drohte in einem Freudenschrei zu eskalieren. Ich war so glücklich. So glücklich. Konnte ein Mensch so glücklich sein. Ich legte all meine Gefühle in dieses kleine Wort: „Ja.“ Ich wollte ihn küssen, umarmen, mit ihm über den Strand tanzen, schwimmen, ihn lieben. Aber er hielt weiterhin meine Hand, gab mir Sicherheit und zog einen Ring aus der Tasche. Er war schlicht, aber wunderschön. Aus Silber gefertigt, mit einem winzigen glitzernden Stein auf der Spitze. Jason schob ihn mir vorsichtig auf meinen Ringfinger. Und dann küsste ich ihn. Der Kuss war erst sanft und zärtlich, dann brach die Freude hervor, und er wurde wild und ich musste mich auf Zehenspitzen stellen um ihn zu erwidern.
Schließlich löste ich mich und sah ihn Jasons Augen. Sie strahlten pure Liebe aus. 

Kapitel 2- Teil 9


Es war das erste Mal seit langem dass ich wieder aktiv am Leben teilnahm. Ich beobachtete die Umgebung, meine Mitmenschen und konnte nicht glauben dass sie teilnahmelos an mir vorbei zogen. Es interessierte sie nicht was mit mir war. Warum dieses Verzweifelte, teilweise schon Verrückte in meinem Blick war. Warum ich wie gehetzt nicht wusste wohin mit mir. Warum auf meinen Armen immer noch die Spuren der Hoffnungslosigkeit zu sehen waren. Ich hasste sie, ebenso wie ich mich hasste. Jason hatte sie selbstverständlich auch bemerkt, hatte sich aber nicht dazu geäußert. Er nahm mich hin wie ich war. Ich fuhr mit einem Finger über die Narben. Ein alter Mann setzte sich auf die Bank, neben mich und klopfte mit seinem Krückstock zu einem imaginären Takt. Ob er wohl glücklich war, in seinem Alter. Er hatte es immerhin bis dahin geschafft.  Normalerweise hätte ich ein langärmliges Shirt angezogen, da ich keine Aufmerksamkeit wollte, aber es hatte fast 40 Grad. Ich versuchte meine Arme hinter meinem Rücken zu verstecken, aber es achtete sowieso niemand auf mich. Auf der anderen Seite des Parks sah ich wie im Traum Soraya und Ryan. Sie liefen nebeneinander her, schienen zu diskutieren, waren sich uneinig. Schließlich lief Soraya in die gleiche Richtung aus der sie gekommen war weg. Ich beobachtete sie, versuchte meinen Blick von Ryan abzulenken bis Soraya verschwunden war. Ryan lockte in mir immer noch ein Gefühl der Wut hervor. Ich hasste ihn.

„Nora?“, ich sah auf. „Hast du kurz Zeit?“ Ich wunderte mich schon dass sie mich angesprochen hatte, also nickte ich zögernd. Soraya stand auf und ging in ihr Zimmer. Ich beschloss ihr zu folgen. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen brach Soraya in Tränen aus. Ihr sonst so schönes Gesicht wirkte verzerrt, durch den Fluss der Tränen. Sie schluchzte: „Er ist ein Idiot.“ Ich dachte an die Szene im Park, und war unsicher was ich tun sollte. Früher hätte ich mich neben sie gehockt, sie in den Arm genommen, aber ich traute mich nicht sie zu berühren. Zu viel war passiert. „Was ist passiert?“, fragte ich stattdessen, mit einer Stimme die mir fremd war. Soraya merkte es nicht einmal. „Er hat eine andere. Sie heißt Julia, ist zwei Jahre älter als er, und ich bin ihm nichts mehr wert!“ Sie brach erneut in Tränen aus. Ich hatte gar nicht gewusst wie oberflächlich sie war. „Das ist ja schrecklich!“, sagte ich tonlos, und begann mit meinen Armbändern zu spielen. Ich hatte noch ein Freundschaftsarmband von Soraya an dem Arm. Wie lächerlich. Freundschaft, so etwas gab es nicht. Soraya nickte unter Tränen und dann brach ein Redeschwall aus ihr heraus, von dem ich nur die Hälfte verstand. Es ging darum dass er immer seltener für sie Zeit gehabt hätte, ständig telefonierte, dass sie zu hässlich für einen Freund war, und dass er sie gar nicht verdient hatte. Ich nickte wie in Trance, sagte aufmunterte Worte, beschimpfte ihn mit Soraya. Irgendwo war die alte Nora noch. Die alte Nora sprach aus mir heraus, wollte Soraya umarmen, die neue Nora verdrängen. Doch die neue Nora war ich. Und ich konnte sie nicht in die Tiefen meines Kopfes verbannen. Sie war ein zu großer Teil von mir. Ich fühlte mich nicht wie Sorayas Schwester. Sie nutzte mich aus, wann immer sie mich brauchen konnte. Als wäre ich eine Figur aus Papier oder Glas die sie einfach benutzen konnte. 

Freitag, 15. März 2013

Kapitel 2- Teil 8

Soraya hat herausgefunden dass ich mit Jason zusammen war. Sie war enttäuscht dass ich es ihr nicht erzählt habe. Aber was hätte ich sagen sollen? „Oh ich bin übrigens mit Jason zusammen. Ich liebe ihn aber er ist eher so was wie mein bester Freund. Er hilft mir über Ryan hinweg.“ Wir waren längst nicht mehr die Art von Schwestern die sich alles blind anvertrauten. Diese Zeit war vorbei. Denn er, der Junge den ich über alles hasste war schuld daran. Ich wünschte ihm den Tod. Wirklich. Nicht aus einer Laune heraus, aber ich malte mir oft aus wie er sterben würde. Ich schrieb es auf, in meinem Tagebuch, Wort für Wort. Er sollte unter Qualen sterben, verhungern, ersticken, ertrinken. Ich schüttelte den Kopf. Was war nur aus mir geworden? Was war ich für ein Mensch, der einem anderen den schlimmsten Tod wünschte? Was war ich für ein Mensch der sich durch eine Beziehung über Liebeskummer hinwegtröstete? Ich schämte mich für mich. Ich war ein schrecklicher Mensch. Ich glaube im Grunde hasste ich mich selbst.

Es war das erste Mal dass ich ihn wirklich genau betrachten konnte. Jason lag neben mir auf meinem Bett und schlief. Er sah so friedlich aus im Schlaf, fast noch wie ein Kind. Ich lächelte. Ich liebte ihn, keine Frage. Er war alles für mich geworden. Ich hatte niemanden mehr außer ihn. Ebenso wie ich früher niemanden außer Soraya gehabt hatte.  Ich konzentrierte mich wieder auf Jason. Ich konnte ihn noch nicht als meinen Freund bezeichnen. Er war mehr als nur mein Freund. Er war mein Vertrauter, mein Seelentröster, mein Schutzengel. Ich dachte an unsere erste Begegnung zurück. Ich kam von meinem geheimen Platz, ich musste kichern als ich daran dachte dass ich wie ein Kind ein geheimes Lager hatte, und dann traf ich ihn. Ich fragte mich was er wohl gemacht hatte, so ganz alleine. Es war seltsam dass ein 19jähriger Mann alleine in der Dämmerung draußen umher lief. Das waren entweder Pädophile oder alte Männer. Er war eben etwas Besonderes. Ich wusste nicht was er an mir fand. Ich war nicht hübsch, nicht freundlich und auch nicht besonders gut in Beziehungen. Aber er liebte mich. Und ich liebte ihn. Ich wusste dass er der Mann war mit dem ich meine Zukunft verbringen wollte. Er war mein Ehemann, und eventuell der Vater meiner Kinder.

Sonntag, 3. März 2013

Kapitel 2- Teil 7.



"Du bist wunderschön weißt du das?" Er spielte mit einer Strähne aus meinem Zopf. "Nein bin ich nicht!", ich lächelte ihn an und umarmte ihn. "Doch bist du! Ich liebe dich!", er küsste mich sanft und zog mich an sich. Ich erinnerte mich an unseren ersten Kuss, ebenfalls im Wasser. Ich fühlte mich nicht wohl im Bikini aber er machte mich glücklich wo auch immer ich war. Ich wusste nicht genau wie lange wir schon im Wasser waren, denn Zeit spielte keine Rolle für uns. "Ich mochte unseren See lieber!", sagte Jason zwischen zwei Küssen. Ich nickte und nahm seine Hand. "Er hatte etwas magisches!", ich lächelte. Jason zog mein Lächeln mit seinem Zeigefinger nach. "Meine Prinzessin!", "Mein Prinz!" Wir lachten beide. Jemand tippte mir auf die Schulter. "Nehmt euch ein Zimmer!" Ein kleiner Junge schwamm vor uns und grinste mich frech an. Ich spürte wie meine Augen zu Schlitzen wurden. "Was..." Jason reagierte bevor ich ausrasten konnte. "Willst du Prügel?", er hob drohend die Hand. Er sah beängstigend und unberechenbar aus. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher ob er der Junge war den ich kannte oder ob er nur eine Maske aufgesetzt hatte. So plötzlich wie der Ausdruck auf seinem Gesicht gekommen war verschwand er auch wieder. Der Junge bekam es mit der Angst zu tun und schwamm davon. Aber mir war die Lust auf Küsse vergangen. Ich konnte das Bild von Jason, wie er bedrohlich auf den Jungen hinabgeschaut hatte nicht aus dem Kopf bekommen. "Ich denke wir sollten gehen!" Ich konnte ihm kaum in die Augen sehen, da ich wusste das er enttäuscht war. "Wenn du meinst." Zögernd begleitete er mich aus dem Außenbecken. Wir holten unsere Taschen und ich zog mich um.
"Darf ich dich noch zum Essen einladen?" Jasons süßes Lächeln war zurückgekehrt. Mit nassen, verwuschelten Haaren sah er einfach zum Anbeißen aus. Ich beschloss ihm den unheimlichen Moment vorhin zu verzeihen. "Gerne!" Ich ließ zu das er meine Hand nahm während er mit rechts fuhr.
Er fuhr zu einer Pizzeria. Nicht das nobelste aber es machte schon etwas her. Es war noch nicht ganz Abend, war allerdings auch nicht mehr so heiß wie am Mittag.Wir setzten uns in den Biergarten, unter einen großen Baum dessen Namen ich nicht kannte. Es war wundervoll. Total romantisch. Wie oft hatte ich mir früher ausgemalt hier mit... Nein. Nicht Ryan. Ich wollte nicht an ihn denken. Ich wollte nicht dass er mir wieder den Moment verdarb. Zu spät. Ich spürte wie ich wütend wurde. Ich wollte meine Hände in irgendetwas hineinschlagen, brüllen, weinen. Meine Hände begannen zu zittern, immer stärker, ich spürte wie mir Tränen der Wut hoch kamen...
"Alles okay?" Jason rettete mich vor einem Wutanfall. Ich nickte schnell. "Jaja natürlich!" Doch innerlich fühlte ich anders. Ryan hatte mein Leben zerstört.