Es war das
erste Mal seit langem dass ich wieder aktiv am Leben teilnahm. Ich beobachtete
die Umgebung, meine Mitmenschen und konnte nicht glauben dass sie teilnahmelos
an mir vorbei zogen. Es interessierte sie nicht was mit mir war. Warum dieses
Verzweifelte, teilweise schon Verrückte in meinem Blick war. Warum ich wie
gehetzt nicht wusste wohin mit mir. Warum auf meinen Armen immer noch die
Spuren der Hoffnungslosigkeit zu sehen waren. Ich hasste sie, ebenso wie ich
mich hasste. Jason hatte sie selbstverständlich auch bemerkt, hatte sich aber
nicht dazu geäußert. Er nahm mich hin wie ich war. Ich fuhr mit einem Finger
über die Narben. Ein alter Mann setzte sich auf die Bank, neben mich und
klopfte mit seinem Krückstock zu einem imaginären Takt. Ob er wohl glücklich
war, in seinem Alter. Er hatte es immerhin bis dahin geschafft. Normalerweise hätte ich ein langärmliges
Shirt angezogen, da ich keine Aufmerksamkeit wollte, aber es hatte fast 40
Grad. Ich versuchte meine Arme hinter meinem Rücken zu verstecken, aber es
achtete sowieso niemand auf mich. Auf der anderen Seite des Parks sah ich wie
im Traum Soraya und Ryan. Sie liefen nebeneinander her, schienen zu
diskutieren, waren sich uneinig. Schließlich lief Soraya in die gleiche
Richtung aus der sie gekommen war weg. Ich beobachtete sie, versuchte meinen
Blick von Ryan abzulenken bis Soraya verschwunden war. Ryan lockte in mir immer
noch ein Gefühl der Wut hervor. Ich hasste ihn.
„Nora?“, ich
sah auf. „Hast du kurz Zeit?“ Ich wunderte mich schon dass sie mich angesprochen
hatte, also nickte ich zögernd. Soraya stand auf und ging in ihr Zimmer. Ich
beschloss ihr zu folgen. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen brach
Soraya in Tränen aus. Ihr sonst so schönes Gesicht wirkte verzerrt, durch den
Fluss der Tränen. Sie schluchzte: „Er ist ein Idiot.“ Ich dachte an die Szene
im Park, und war unsicher was ich tun sollte. Früher hätte ich mich neben sie
gehockt, sie in den Arm genommen, aber ich traute mich nicht sie zu berühren.
Zu viel war passiert. „Was ist passiert?“, fragte ich stattdessen, mit einer
Stimme die mir fremd war. Soraya merkte es nicht einmal. „Er hat eine andere.
Sie heißt Julia, ist zwei Jahre älter als er, und ich bin ihm nichts mehr
wert!“ Sie brach erneut in Tränen aus. Ich hatte gar nicht gewusst wie
oberflächlich sie war. „Das ist ja schrecklich!“, sagte ich tonlos, und begann
mit meinen Armbändern zu spielen. Ich hatte noch ein Freundschaftsarmband von
Soraya an dem Arm. Wie lächerlich. Freundschaft, so etwas gab es nicht. Soraya
nickte unter Tränen und dann brach ein Redeschwall aus ihr heraus, von dem ich
nur die Hälfte verstand. Es ging darum dass er immer seltener für sie Zeit
gehabt hätte, ständig telefonierte, dass sie zu hässlich für einen Freund war,
und dass er sie gar nicht verdient hatte. Ich nickte wie in Trance, sagte
aufmunterte Worte, beschimpfte ihn mit Soraya. Irgendwo war die alte Nora noch.
Die alte Nora sprach aus mir heraus, wollte Soraya umarmen, die neue Nora
verdrängen. Doch die neue Nora war ich. Und ich konnte sie nicht in die Tiefen
meines Kopfes verbannen. Sie war ein zu großer Teil von mir. Ich fühlte mich
nicht wie Sorayas Schwester. Sie nutzte mich aus, wann immer sie mich brauchen
konnte. Als wäre ich eine Figur aus Papier oder Glas die sie einfach benutzen konnte.
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