Samstag, 27. April 2013

Kapitel 2- Teil 15

Die Zeit bis zu dem Schulwechsel- dem Lebenswechsel kam mir viel zu kurz vor, sie strich viel zu schnell an mir vorbei, ich wollte so viel tun, so viel erleben, am Liebsten jeden meiner Tage mit Jason verbringen.
Doch in meinem Kopf sponnen sich auch andere Gedanken. Ich hatte angefangen mir Geschichten auszudenken, in meinem Kopf, die mich davon abhielten dasselbe mit mir zu tun.


Das Gefühl packt sie immer ganz plötzlich. Von einem Moment auf den anderen. Ein ganz kleines Problem kann all das auslösen. Eine 4 in Mathe, Streit mit den Geschwistern oder einfach nur dass sie stolpert. Sie war nichts wert, dachte sie sich. Wofür überhaupt noch leben?
Nun stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich. Sie war schlank, sehr schlank, aber nicht schlank genug. Sie zog ihr T-Shirt hoch, wollte ihre Rippen sehen ohne Einzuatmen. Leicht zeichneten sich die Abdrücke ab. Weniger als vor drei Tagen. Sie hielt die Luft krampfhaft an. Abnehmen, weniger essen, dünn sein. Sie wollte sich einfach auflösen, in einen Schwarm voller Vögel der ihre verschiedenen Teile verstreute, ihnen die Freheit schenkte. 
Ihr Arm war nicht vernarbt, aber ganz leicht zeichneten sich die Spuren der Verzweiflung ab. Und wieder langte sie zum Messer. Sie wusste selbst nicht warum sie das tat. Es gab keinen Grund. Es fühlte sich einfach gut an, der Schmerz. Schmerz bedeutete Leben. Leben bedeutete nicht tot sein. Und das war im Moment mehr als sie erwartet hatte. Das Messer war ein Taschenmesser, das ihr Vater ihr geschenkt hatte. Es war rot- ein Schweitzer Taschenmesser. Es hatte schon öfters Blut geleckt. Sie legte es auf die Innenseite ihres Armes und drückte zu. Noch war kein Schmerz zu spüren, nur der Druck. Dann zog sie es langsam über ihren Arm. Der Schmerz tat so gut, erfüllte sie und brachte das Gefühl von Vertrautem wieder hoch. Erst zeichnete sich nur eine dünne, rosa Linie ab bis schließlich ein winziger Bluttropfen hervorqoll. Sie betrachtete ihn glücklich. Sie würde ihn nicht wegwischen, sondern warten bis er vollständig dort war. Bis er glänzte und sie sich in ihm verlieren konnte.

Ich zwang mich diese Geschichte zu beenden. Sie konnte kein gutes Ende nehmen. Ich saß in meinem Versteck, hörte die Wellen laut und wütend an die Felsen knallen, als würden sie ihr Leid in die Welt herausschreien. Ich fühlte mich ihnen verbunden. Ich brüllte nichts hinaus, sondern fraß alles in mich hinein aber hier konnte mich niemand hören, und ich öffnete den Mund. Erst stieß ich ein wenig Luft aus, dann ließ ich einen Ton heranwachsen und schließlich schrie ich mit den Wellen. Und niemand hörte mein Schreien.


Freitag, 26. April 2013

Kapitel 2- Teil 14

Ich saß in meinem Zimmer und starrte die Wand an. Ich zählte die Monate die mir noch mit Jason blieben. Es waren zwei Monate und fünf Tage. Ich konnte nicht so leben. In der Angst ihn nie wieder zu sehen. Ich konnte mich nicht dazu durchringen zum Handy zu greifen. Es war nichts dass ich ihm einfach so erzählen konnte. Ein Jahr getrennt von ihm. Ich hatte ihn doch grade erst gefunden. Ich wischte mir eine Träne mit dem Handrücken ab. Ich würde nicht nur ihn verlassen müssen, sondern auch meinen Rückzugsort am Strand. Es war hoffnungslos.
Irgendwie schaffte ich es mich aufzuraffen und spätabends zu Jason zu fahren. An seiner Haustür traute ich mich nicht anzuklopfen, obwohl ich schon so oft hier gewesen war. Schließlich klingte ich kurz. Er kam und sah mich verblüfft an. "Nora was machst du denn hier? Komm doch rein!" Er war immer so lieb. Ich konnte ihm das nicht sagen. Aber ich ließ mich hineinführen, und setzte mich auf sein Bett. "Meine Mom schickt mich auf ein Internat! Ich soll das Schuljahr wiederholen!" Wieder rollte eine Träne über meine Wange. Ich musste mich zusammenreißen um nicht zu schluchzen. Jason sah geschockt aus. Es tat weh ihn so zu sehen, fast noch mehr als die Vorstellung ein Jahr getrennt von ihm zu verbringen. Er nahm mich in den Arm und wir saßen einfach da, ließen die Tränen fließen. Schließlich sagte er diesen einen Satz: "Was auch geschieht, nichts kann uns trennen!"

Ich wollte ihn nicht verlassen, am liebsten würde ich ewig in seinem Arm sitzen bleiben, aber er bestand darauf mich nach Hause zu fahren und so saß ich an derselben Stelle in meinem Zimmer wie vorhin. Ich sah das Messer an, das auf dem Schreibtisch lag, und überlegte. Ich stellte mir vor wie schön der Schmerz wäre, wie willkommen ich ihn heißen würde. Dann trat mir aber Jasons Gesicht vor die Augen, und ich hielt an ihm fest. Nein, ich würde mich nicht ritzen. Ich hatte Jason, und nichts konnte uns trennen.

Sonntag, 14. April 2013

Kapitel 2- Teil 13


Für diesen Nachmittag war meine Mutter zum Direktor bestellt worden. Ich war versetzungsgefährdet. Seltsamerweise zog das total an mir vorbei. Es war mir einfach gleichgültig. Ich wollte all das nicht, diese Sorge ich könnte nicht bestehen ich wollte nicht dass mein Glück so an mir vorbeizog. Also mauerte ich mich ab gegenüber all diesem Stress, diesem Druck und war einfach glücklich. Ich hatte dieses Jahr kein einziges Mal gelernt, ich fühlte mich  nicht stark genug den Kampf gegen die Noten aufzunehmen. Ich war nicht stark genug jedes Mal wenn ich eine Klassenarbeit vorlegte den enttäuschten Blick meiner Mutter zu sehen. Sie wollte dass ich so werde wie sie. Eine Firmenchefin die den ganzen Tag nicht zu Hause ist. Vielleicht ist sie schuld dass ich so bin, so instabil. Sie hatte nie Zeit für mich. Soraya war Mutter, Schwester und beste Freundin in einem. Und ausgerechnet zu ihr ist mein Draht zerbrochen. Wegen ihm.
In einer Viertelstunde würde meiner Mutter in der Schule eintreffen. Ich wartete auf ihre Rückkehr.

Ihr Mund war zu einem dünnen Strich verzerrt. „Was ist nur in dich gefahren?“, fragte sie mich. Ich zuckte die Schultern und fixierte einen Blick auf der Wand. Es musste so kommen. Sie würde mich zur Rede stellen und bringen würde es gar nichts. „Du wirst dieses Schuljahr nicht schaffen! Weißt du was das heißt? Du wirst die Klasse wiederholen. Und du wirst lernen hörst du mich?“ Sie brüllte am Ende. Ich zuckte die Schultern. Meine Maske war perfekt. Ich brüllte nie, ich behielt meine Maske auf. Sie war seit langem nicht mehr meine Mutter. „Ich möchte nicht wiederholen.“, erwiderte ich.  Ihr Blick wurde hart. „Das hättest du dir früher überlegen sollen!“ Ich zuckte nochmal die Schultern und verließ das Zimmer. Sie konnte mich nicht zum Lernen zwingen. Ich hatte immerhin einen Realschulabschluss. Aber sie wollte dass ich studierte.
„Nora!“, sie brüllte immer noch, klang wutverzerrt und entschlossen. „Was?“, fragte ich leise zurück. „Du wirst aufs Internat gehen“ Wie im Traum zogen die Worte an mir vorbei. Ich sollte aufs Internat, weg von Jason, weg von dem Meer und meiner Höhle. Weg von mir selbst. „Nein!“, ich sagte es erst leise, dann nochmal: „Nein!“ Sie konnte mich nicht auf ein Internat schicken, sie konnte mich nicht einfach abschieben.

Freitag, 12. April 2013

Kapitel 2- Teil 12.


Ich schaufelte mir ein weiteres Stück Pizza in den Mund, obwohl ich eigentlich keinen Hunger hatte. Ich zwang mich Jason trotzdem anzulächeln. „Ich habe gar keinen Hunger mehr!“ Jason sah mich besorgt an. „Stimmt etwas mit der Pizza nicht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein ich habe nur etwas Bauchweh!“ Jason nahm meine Hand und sah mir in die Augen. Wir hatten gemeinsam gekocht, und das war ein ganz besonderes Erlebnis gewesen. Welcher Junge in der realen Welt kochte seiner Freundin etwas? Ich schaute ihm ebenfalls in die Augen. „Du bist die Eine. Die welche ich liebe.“ Mein Herz wurde warm bei seinen Worten. „Und ich liebe dich!“ Dann küsste ich ihn. Mein Leben kam mir vor wie ein Film. Ein Junge, den du einen Monat kennst macht dir einen Heiratsantrag. Du weißt dass er die Liebe deines Lebens ist, und dass du nicht mehr ohne ihn sein kannst. Er ist lieb, romantisch und verständnisvoll und scheint keine schlechten Seiten zu haben. Wir hatten das Essen gestoppt und küssten uns stattdessen. In solchen Momenten schien alles von mir abzufallen. Alles Schlechte, alles was mich bedrückte. Es gab nur noch ihn und mich. Er löste sich von mir. „Du solltest meine Eltern kennenlernen!“ Mein Herz begann schneller zu klopfen. „Aber… Sie werden mich nicht mögen." Jason schüttelte den Kopf. „Unsinn. Sie werden dich lieben, ebenso wie ich.“ Er küsste mich wieder. Ich wollte seine Eltern nicht kennenlernen. Ich war nicht der Mensch der sich mit Erwachsenen gut unterhalten konnte. Mein Magen drehte sich schon bei dem Gedanken um. „Deine Mutter wohnt doch in Berlin“, fiel mir ein. Jason nickte. „Aber sie wird nächste Woche kommen um eine Freundin zu besuchen die Geburtstag hat!“ Jetzt wurde mir wirklich schlecht. Nächste Woche sollte ich sie kennenlernen. Dann straffte ich meine Schultern. Ich hatte keine Angst. Entweder mochten sie mich oder nicht. Ich half Jason ab zu waschen, und wir setzten uns auf die Coach. Ich schmiegte mich in Jasons Arm und war einfach glücklich.

„Tschüss Prinzessin!“, Jason warf mir eine Kusshand zu. Ich lächelte und tat so als würde ich seinen Kuss auffangen. Dann schloss ich die Haustür hinter mir. Meine Mam war da, ich lief aber ohne ein Wort an ihr vorbei, Sie kümmerte sich auch nie um mich. Mein Blick fiel auf meine Schultasche. Ich hatte die Hausaufgaben sowieso nicht mitbekommen, wofür also die Sachen herauskramen? Ich ließ alles wo es war und verkroch mich in meinem Zimmer. Die Schule deprimierte mich unnötig. Ich wusste, dass ich, wenn ich nicht lernte durchfallen würde aber ich hatte keine Lust mehr. Ich wollte nicht mehr lernen, mich abrackern wenn ich meine Zukunft bis ins kleinste Detail geplant hatte. Ich konnte mich nicht mehr auf eine Aufgabe konzentrieren, meine Gedanken schweiften ab. Ich schüttelte den Kopf. Die Schule ging mir am Arsch vorbei. Ich ließ meinen Laptop hochfahren. Eigentlich war ich nie am Computer aber es war eine gute Beschäftigung gegen Gedanken.