Donnerstag, 28. März 2013

Kapitel 2- Teil 11


Nichts konnte mir mehr etwas ausmachen. Ich war vereint mit Jason, für immer. Ich starrte den Ring dutzende Male an, fuhr mit dem Finger über ihn, merkte mir die Wölbungen bis ins kleinste Detail. Soraya hatte ihn entdeckt, mich neugierig angestarrt aber nicht nachgefragt. Und heute musste ich in die Schule. Jason hatte mir versprochen mich abzuholen und anschließend mit zu sich zu nehmen, um die Verlobung zu feiern. Mein Verlobter. Das klang seltsam, aber richtig. Ich war verlobt. Ich konnte das kaum glauben. Ich würde heiraten. Wann? Ich musste ihn heute fragen. Wahrscheinlich würde er erst ein Haus bauen wollen, einen Job annehmen… Ich würde das am Besten ihm überlassen.
„Kommst du?“ Soraya stand am Fuß der Treppe. Ich nickte, schnappte mir meine Schultasche und lief die Treppe herunter. Es war mein vorletztes Jahr in der Schule, nächstes Jahr würde ich mein Abitur machen und dann war ich frei. Ich war mit 16 verlobt. Das war komisch. Ich konnte meine Gedanken nicht von Jason losbekommen. Soraya redete mit mir über belanglose Dinge wie das Wetter oder was sie heute machen würde, während sie den Wagen in Richtung Schule lenkte. Soraya machte derzeit ihr Abitur, und hatte eine Lehrstelle bei einer Versicherung angenommen. Sie war abgesichert, falls etwas passieren sollte. Ich schüttelte den Kopf. Was sollte passieren? Alles war perfekt. Fast alles. In meinem Leben konnte nicht alles perfekt sein. Da war Soraya, meine bisher einzige Freundin. Unsere Beziehung war zerstört. Dann war da die Schule. Ich stand kurz vor dem Durchfallen. Das war ein Problem. Und dann war da noch meine Fähigkeit in allem das Schlechteste zu sehen. Alles problematisch und schrecklich zu gestalten.
Soraya hielt den Wagen an und ich stieg aus. Der vertraute Schulhof ließ in mir einen Würgereiz hochkommen. Verächtliche Blicke streiften mich. Sorayas Schatten. Niemand wollte ohne Soraya etwas mit mir zu tun haben. Und bestimmt hatte sich die Neuigkeit, dass ich einen gut aussehenden Freund hatte schon durchgesprochen. Wie ich wohl nur so einen bekommen hatte? So einen Hübschen. Ich lief durch die Flure ohne irgendetwas wahrzunehmen, und bog schließlich in den Gang zu meinem Klassenzimmer ein. Ich setzte mich auf einen freien Platz am Fenster. Die Zeit bis der Unterricht losging schien sich ewig zu ziehen. Alle saßen in Gruppen zusammen, nur ich war alleine.
Schließlich begann der Unterricht, zog an mir vorbei, und war endlich vorbei. Ich hatte kein Wort verstanden. Ich hatte aus dem Fenster geschaut und die Vögel beobachtet, die Grundschulkinder (ich stellte mir vor eines wäre mein Kind) und hatte schließlich angefangen ein Bild zu zeichnen. Mit dem Klingeln war ich aufgesprungen.

Kapitel 2- Teil 10


Sie betrachtete mich wieder als ihre beste Freundin, ihre Schwester, ihren Schatten. Ich betrachtete mich als Ersatzteil, Platzhalter und nur gut genug um Soraya zu trösten wenn sie traurig war. Sie saß neben mir, textete mich zu, merkte nicht dass es schwer war die Tränen zurückzuhalten. Sie übersah es, wollte es nicht wahrnehmen, es interessierte sie nicht. Sie war kein Deut besser als alle anderen.
Ich sah auf. Jason stand vor mir. „Hübsch siehst du aus!“ Er begrüßte mich mit einem Kuss, der mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. „Danke!“, sagte ich. Jason nickte Soraya zu und lächelte, während er meine Hand nahm. Er mochte Soraya, hatte aber nicht viel mit ihr zu tun. Ich winkte Soraya ebenfalls scheu zu. „Tschüss Soraya.“ Ich hatte schon vor langem für immer Tschüss gesagt. Jason war gut drauf, er hatte sich herausgeputzt für unseren gemeinsamen Stadtbummel und anschließendes Kino. Wir verabredeten uns jeden Tag, trafen uns, redeten, gingen spazieren oder sonstige netten Dinge. Er war ein fester Bestandteil meines Lebens. Morgen würde die Schule wieder losgehen, ich werde erneut in ein Tief fallen, wenn ich auch nur einen Tag ohne ihn verbringen muss. „Woran denkst du?“ Er merkte es immer wenn ich abgelenkt war. „Nur dass die Schule morgen wieder losgeht.“ Jason nickte. „Und ich sollte mir eine Stelle suchen. Ich muss lernen Geld für uns zu verdienen.“ Er hatte bewusst ‚uns‘ gesagt. Er betrachtete mich und ihn als eine Familie. Mein Herz machte einen Satz. Jason führte mich seltsamerweise nicht wie versprochen in die Stadt, sondern Richtung Strand. Ich fühlte mein Herz immer höher schlagen. Was hatte er vor? Jason schien auch aufgeregt zu sein, seine Schritte wurden kräftiger um die Unsicherheit zu überspielen. Seine Hand in meiner wurde feucht. Ich hörte mich schneller atmen. Warum? Was hatte er vor, was sollte das?
Er hielt schließlich an einer einsamen Stelle am Strand an. Das leise Rauschen der Wellen, das Zwitschern der Vögel und unsere Atemgeräusche bauten eine perfekte Kulisse auf. Jason fiel vor mir auf die Knie. Ich konnte kaum mehr aufhören zu atmen, mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen. Er wollte doch nicht… Er nahm vorsichtig meine Hand und sah mir in die Augen. „Nora. Ich kann solche Dinge nicht besonders gut, und bestimmt mache ich mich gerade lächerlich. Aber ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Du bist mein Herz. Möchtest du mich heiraten?“ Mein Herz drohte zu zerspringen, alle Gefühle, alles stieg mir den Hals hoch, drohte in einem Freudenschrei zu eskalieren. Ich war so glücklich. So glücklich. Konnte ein Mensch so glücklich sein. Ich legte all meine Gefühle in dieses kleine Wort: „Ja.“ Ich wollte ihn küssen, umarmen, mit ihm über den Strand tanzen, schwimmen, ihn lieben. Aber er hielt weiterhin meine Hand, gab mir Sicherheit und zog einen Ring aus der Tasche. Er war schlicht, aber wunderschön. Aus Silber gefertigt, mit einem winzigen glitzernden Stein auf der Spitze. Jason schob ihn mir vorsichtig auf meinen Ringfinger. Und dann küsste ich ihn. Der Kuss war erst sanft und zärtlich, dann brach die Freude hervor, und er wurde wild und ich musste mich auf Zehenspitzen stellen um ihn zu erwidern.
Schließlich löste ich mich und sah ihn Jasons Augen. Sie strahlten pure Liebe aus. 

Kapitel 2- Teil 9


Es war das erste Mal seit langem dass ich wieder aktiv am Leben teilnahm. Ich beobachtete die Umgebung, meine Mitmenschen und konnte nicht glauben dass sie teilnahmelos an mir vorbei zogen. Es interessierte sie nicht was mit mir war. Warum dieses Verzweifelte, teilweise schon Verrückte in meinem Blick war. Warum ich wie gehetzt nicht wusste wohin mit mir. Warum auf meinen Armen immer noch die Spuren der Hoffnungslosigkeit zu sehen waren. Ich hasste sie, ebenso wie ich mich hasste. Jason hatte sie selbstverständlich auch bemerkt, hatte sich aber nicht dazu geäußert. Er nahm mich hin wie ich war. Ich fuhr mit einem Finger über die Narben. Ein alter Mann setzte sich auf die Bank, neben mich und klopfte mit seinem Krückstock zu einem imaginären Takt. Ob er wohl glücklich war, in seinem Alter. Er hatte es immerhin bis dahin geschafft.  Normalerweise hätte ich ein langärmliges Shirt angezogen, da ich keine Aufmerksamkeit wollte, aber es hatte fast 40 Grad. Ich versuchte meine Arme hinter meinem Rücken zu verstecken, aber es achtete sowieso niemand auf mich. Auf der anderen Seite des Parks sah ich wie im Traum Soraya und Ryan. Sie liefen nebeneinander her, schienen zu diskutieren, waren sich uneinig. Schließlich lief Soraya in die gleiche Richtung aus der sie gekommen war weg. Ich beobachtete sie, versuchte meinen Blick von Ryan abzulenken bis Soraya verschwunden war. Ryan lockte in mir immer noch ein Gefühl der Wut hervor. Ich hasste ihn.

„Nora?“, ich sah auf. „Hast du kurz Zeit?“ Ich wunderte mich schon dass sie mich angesprochen hatte, also nickte ich zögernd. Soraya stand auf und ging in ihr Zimmer. Ich beschloss ihr zu folgen. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen brach Soraya in Tränen aus. Ihr sonst so schönes Gesicht wirkte verzerrt, durch den Fluss der Tränen. Sie schluchzte: „Er ist ein Idiot.“ Ich dachte an die Szene im Park, und war unsicher was ich tun sollte. Früher hätte ich mich neben sie gehockt, sie in den Arm genommen, aber ich traute mich nicht sie zu berühren. Zu viel war passiert. „Was ist passiert?“, fragte ich stattdessen, mit einer Stimme die mir fremd war. Soraya merkte es nicht einmal. „Er hat eine andere. Sie heißt Julia, ist zwei Jahre älter als er, und ich bin ihm nichts mehr wert!“ Sie brach erneut in Tränen aus. Ich hatte gar nicht gewusst wie oberflächlich sie war. „Das ist ja schrecklich!“, sagte ich tonlos, und begann mit meinen Armbändern zu spielen. Ich hatte noch ein Freundschaftsarmband von Soraya an dem Arm. Wie lächerlich. Freundschaft, so etwas gab es nicht. Soraya nickte unter Tränen und dann brach ein Redeschwall aus ihr heraus, von dem ich nur die Hälfte verstand. Es ging darum dass er immer seltener für sie Zeit gehabt hätte, ständig telefonierte, dass sie zu hässlich für einen Freund war, und dass er sie gar nicht verdient hatte. Ich nickte wie in Trance, sagte aufmunterte Worte, beschimpfte ihn mit Soraya. Irgendwo war die alte Nora noch. Die alte Nora sprach aus mir heraus, wollte Soraya umarmen, die neue Nora verdrängen. Doch die neue Nora war ich. Und ich konnte sie nicht in die Tiefen meines Kopfes verbannen. Sie war ein zu großer Teil von mir. Ich fühlte mich nicht wie Sorayas Schwester. Sie nutzte mich aus, wann immer sie mich brauchen konnte. Als wäre ich eine Figur aus Papier oder Glas die sie einfach benutzen konnte. 

Freitag, 15. März 2013

Kapitel 2- Teil 8

Soraya hat herausgefunden dass ich mit Jason zusammen war. Sie war enttäuscht dass ich es ihr nicht erzählt habe. Aber was hätte ich sagen sollen? „Oh ich bin übrigens mit Jason zusammen. Ich liebe ihn aber er ist eher so was wie mein bester Freund. Er hilft mir über Ryan hinweg.“ Wir waren längst nicht mehr die Art von Schwestern die sich alles blind anvertrauten. Diese Zeit war vorbei. Denn er, der Junge den ich über alles hasste war schuld daran. Ich wünschte ihm den Tod. Wirklich. Nicht aus einer Laune heraus, aber ich malte mir oft aus wie er sterben würde. Ich schrieb es auf, in meinem Tagebuch, Wort für Wort. Er sollte unter Qualen sterben, verhungern, ersticken, ertrinken. Ich schüttelte den Kopf. Was war nur aus mir geworden? Was war ich für ein Mensch, der einem anderen den schlimmsten Tod wünschte? Was war ich für ein Mensch der sich durch eine Beziehung über Liebeskummer hinwegtröstete? Ich schämte mich für mich. Ich war ein schrecklicher Mensch. Ich glaube im Grunde hasste ich mich selbst.

Es war das erste Mal dass ich ihn wirklich genau betrachten konnte. Jason lag neben mir auf meinem Bett und schlief. Er sah so friedlich aus im Schlaf, fast noch wie ein Kind. Ich lächelte. Ich liebte ihn, keine Frage. Er war alles für mich geworden. Ich hatte niemanden mehr außer ihn. Ebenso wie ich früher niemanden außer Soraya gehabt hatte.  Ich konzentrierte mich wieder auf Jason. Ich konnte ihn noch nicht als meinen Freund bezeichnen. Er war mehr als nur mein Freund. Er war mein Vertrauter, mein Seelentröster, mein Schutzengel. Ich dachte an unsere erste Begegnung zurück. Ich kam von meinem geheimen Platz, ich musste kichern als ich daran dachte dass ich wie ein Kind ein geheimes Lager hatte, und dann traf ich ihn. Ich fragte mich was er wohl gemacht hatte, so ganz alleine. Es war seltsam dass ein 19jähriger Mann alleine in der Dämmerung draußen umher lief. Das waren entweder Pädophile oder alte Männer. Er war eben etwas Besonderes. Ich wusste nicht was er an mir fand. Ich war nicht hübsch, nicht freundlich und auch nicht besonders gut in Beziehungen. Aber er liebte mich. Und ich liebte ihn. Ich wusste dass er der Mann war mit dem ich meine Zukunft verbringen wollte. Er war mein Ehemann, und eventuell der Vater meiner Kinder.

Sonntag, 3. März 2013

Kapitel 2- Teil 7.



"Du bist wunderschön weißt du das?" Er spielte mit einer Strähne aus meinem Zopf. "Nein bin ich nicht!", ich lächelte ihn an und umarmte ihn. "Doch bist du! Ich liebe dich!", er küsste mich sanft und zog mich an sich. Ich erinnerte mich an unseren ersten Kuss, ebenfalls im Wasser. Ich fühlte mich nicht wohl im Bikini aber er machte mich glücklich wo auch immer ich war. Ich wusste nicht genau wie lange wir schon im Wasser waren, denn Zeit spielte keine Rolle für uns. "Ich mochte unseren See lieber!", sagte Jason zwischen zwei Küssen. Ich nickte und nahm seine Hand. "Er hatte etwas magisches!", ich lächelte. Jason zog mein Lächeln mit seinem Zeigefinger nach. "Meine Prinzessin!", "Mein Prinz!" Wir lachten beide. Jemand tippte mir auf die Schulter. "Nehmt euch ein Zimmer!" Ein kleiner Junge schwamm vor uns und grinste mich frech an. Ich spürte wie meine Augen zu Schlitzen wurden. "Was..." Jason reagierte bevor ich ausrasten konnte. "Willst du Prügel?", er hob drohend die Hand. Er sah beängstigend und unberechenbar aus. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher ob er der Junge war den ich kannte oder ob er nur eine Maske aufgesetzt hatte. So plötzlich wie der Ausdruck auf seinem Gesicht gekommen war verschwand er auch wieder. Der Junge bekam es mit der Angst zu tun und schwamm davon. Aber mir war die Lust auf Küsse vergangen. Ich konnte das Bild von Jason, wie er bedrohlich auf den Jungen hinabgeschaut hatte nicht aus dem Kopf bekommen. "Ich denke wir sollten gehen!" Ich konnte ihm kaum in die Augen sehen, da ich wusste das er enttäuscht war. "Wenn du meinst." Zögernd begleitete er mich aus dem Außenbecken. Wir holten unsere Taschen und ich zog mich um.
"Darf ich dich noch zum Essen einladen?" Jasons süßes Lächeln war zurückgekehrt. Mit nassen, verwuschelten Haaren sah er einfach zum Anbeißen aus. Ich beschloss ihm den unheimlichen Moment vorhin zu verzeihen. "Gerne!" Ich ließ zu das er meine Hand nahm während er mit rechts fuhr.
Er fuhr zu einer Pizzeria. Nicht das nobelste aber es machte schon etwas her. Es war noch nicht ganz Abend, war allerdings auch nicht mehr so heiß wie am Mittag.Wir setzten uns in den Biergarten, unter einen großen Baum dessen Namen ich nicht kannte. Es war wundervoll. Total romantisch. Wie oft hatte ich mir früher ausgemalt hier mit... Nein. Nicht Ryan. Ich wollte nicht an ihn denken. Ich wollte nicht dass er mir wieder den Moment verdarb. Zu spät. Ich spürte wie ich wütend wurde. Ich wollte meine Hände in irgendetwas hineinschlagen, brüllen, weinen. Meine Hände begannen zu zittern, immer stärker, ich spürte wie mir Tränen der Wut hoch kamen...
"Alles okay?" Jason rettete mich vor einem Wutanfall. Ich nickte schnell. "Jaja natürlich!" Doch innerlich fühlte ich anders. Ryan hatte mein Leben zerstört.